Theorie & Praxis

Zucker //

Auch du kannst Marmelade.

Rohrzucker oder Rübenzucker?

Seit einigen Jahren ist Rübenzucker out und Rohrzucker in – besonders bei Bio-Lebensmitteln. Warum eigentlich?

Zucker gehört chemisch gesehen zu den Kohlenhydraten. Kohlenhydrate werden durch Photosynthese in Pflanzen gebildet, sind also poetisch ausgedrückt „gespeicherte Sonnenenergie“. Seine Bezeichnung Saccharid stammt vom griechischen Wort σάκχαρον (sákkharon) für Zucker. Man unterscheidet zwischen Einfach-, Zweifach- und Mehrfachzucker. Einfachzucker ist zB Fruchtzucker oder Traubenzucker. Diese gehen sehr schnell ins Blut über und liefern damit sehr schnelle Energie. Zweifachzucker wie zB unser Haushaltszucker besteht aus zwei verschiedenen Einfachzuckern, die sich verbunden haben – Fruchtzucker und Traubenzucker. Diese müssen durch unseren Organismus erst getrennt werden, bevor sie Energie zur Verfügung stellen. Im Mehrfachzucker haben sich lange Ketten von Einfachzuckern miteinander verbunden, so dass sie gar nicht mehr süß schmecken, wie Cellulose oder Stärke – oder Pektin. Sie haben ganz andere Eigenschaften.

Süß bedeutete in Europa über Jahrtausende: reife Früchte oder Honig. Mit den Kreuzrittern kam im 11. Jahrhundert Zucker aus Zuckerrohr vom Nahen Osten nach Europa. Er war so selten und teuer, dass nur hohe Adelige ihn sich leisten konnten. 1496 brachte Kolumbus die Pflanze Zuckerrohr in die Karibik und sehr schnell entwickelte sich der Zuckerrohranbau zu dem Motor der „Sklavenhaltung“. Der Zuckerpreis fiel – er war zwar nach wie vor Luxusgut, aber für mehr Menschen erschwinglich. Dazu kamen neue Importe wie Kakao, Kaffee und Tee, die mit Zucker genossen wurden und neue Ideen wie kandierte Früchte, Schokolade, Speiseeis.

In Deutschland entdeckte 1747 ein Chemiker, dass in der Runkelrübe derselbe Zucker wie im Zuckerrohr enthalten ist. Nur in viel geringeren Mengen. Es wurde die Zuckerrübe gezüchtet, die einen höheren Zuckeranteil enthält. 1802 entstand die erste Zuckerfabrik. Die englische Blockade unter Napoleon schnitt Europa von den Zuckerlieferungen aus den englischen Kolonien ab, es entstanden mehr Fabriken in Europa und der Rübenzucker überholte den Rohrzucker.

Also ist chemisch gesehen der Zucker aus dem Zuckerrohr derselbe wie aus der Zuckerrübe. Man hört aber immer wieder das Argument, dass Rohrzucker naturbelassener sei und Rübenzucker industriell mehr denaturiert (raffiniert). Stimmt das? Oder sieht das nur so aus, weil der eine braun (oh, Natur!) und der andere weiß (ih, Chemie!) ist?

Man unterscheidet beim Rohrzucker Vollrohrzucker, Rohrohrzucker und Rohrzucker. Vollrohrzucker ist naturbelassener, unraffinierter Zucker, bei dem durch Auspressen des Zuckerrohrs Sirup gewonnen wird, welcher durch Filtern, Eindicken, Trocknen, Mahlen zu Zuckerkristallen wird. Er enthält noch alle Bestandteile des Zuckerrohrs, ist leicht klebrig und schmeckt intensiv karamellig. Rohrohrzucker ist ebenfalls ausgepresstes Zuckerrohr, der Saft wird aber mit Zuckerkristallen geimpft, die dann gewaschen und getrocknet werden. Wenige Rückstände von Melasse lassen ihn immer noch leicht braun aussehen und leicht aromatisch schmecken. Rohrzucker ist weiß, da er genauso wie Rübenzucker raffiniert ist. Und dann gibt es noch den braunen Zucker, der aus raffiniertem Zucker besteht, welcher nachträglich eingefärbt wurde (also eigentlich Verbrauchertäuschung für diejenigen, die keine Inhaltsangaben lesen).

Gesundheitlich macht das absolut keinen Unterschied, der Mineralstoffanteil liegt bei unter 1%. Wirklich unterschiedlich ist der Geschmack: durch die enthaltene Melasse im Voll- und Rohrohrzucker schmeckt er aromatischer. Rübenzucker ist im Vergleich dazu absolut geschmacksneutral. Für manche Rezepte passt der Karamellgeschmack, für andere nicht. Einen Karamellgeschmack kann man auch mit Rübenzucker durch karamellisieren gewinnen (siehe HIER).

Seitdem sich zum Bio-Label das Regional-Label gesellt hat, wird verstärkt Bio-Rübenzucker hergestellt, denn Rohrzucker ist in unseren Breitengraden ganz sicher nicht regional, so dass regionale Lebensmittel mit Zuckeranteil den Rübenzucker benötigen. Wenn ich also keinen besonderen Wert auf den anderen Geschmack von Rohrzucker lege, warum dann nicht lieber regionalen Zucker nehmen? In den Regalen der Läden ist er noch eine Seltenheit, obwohl er in der Lebensmittelproduktion häufig verwendet wird. Vielleicht weil noch immer der Bio-Rübenzucker teurer ist als der Bio-Rohrzucker. Wie kann das sein, wo doch der eine vom Acker um die Ecke kommt und der andere um die halbe Welt gereist ist? Weil Energie und Arbeitskraft noch immer viel teurer sind als Transportkosten. Und weil die Arbeitskraft in den Ländern mit der größten Zuckerproduktion – Brasilien und Indien – ganz sicher kostengünstiger ist als die in Deutschland oder Österreich. Wie immer hat derdie KundIn die Wahl…